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Der Ackermann
Die Schweiz ist das Afghanistan des Marihuana-Anbaus. Manche Bauern haben Angst, dass ihnen die Kiffer nachts die Felder abräumen. Zum Beispiel dieser. Dummy, Heft 19, Sommer 2008
Bei Markus Dietschi
riecht es ein bisschen nach Hund. Das liegt vermutlich
an den beiden
Berner
Sennenhunden sowie dem Schäferhund, welche die meiste
Zeit des Tages
träge im
engen Flur seines Bauernhauses dösen, und an denen sich
jeder Besucher
zunächst
vorbeiarbeiten muss. "Ohne Hunde wären wir in der Nacht
rettungslos
verloren", lautet
ein Satz, den Markus Dietschi öfter sagt. Auf ihn folgt
stets ein
Stoßseufzer.
Amen. Wenn Markus Dietschi
von Hunden redet, meint er allerdings Wachhunde. Die auf
dem Feld. Jene
Hunde
also, die er und sein Geschäftspartner sich vergangenen
Sommer in aller
Eile
ausgeliehen hatten, um zu retten, was zu retten ist. Um
endlich all die
Diebe
loszuwerden, die sich vorher wochenlang am gedeckten
Tisch bedient
hatten. Am
Ende klappte es leidlich: Etwa zwei Drittel ihrer Ernte
konnten sie
noch
einbringen, den Hunden sei Dank. Dass Markus Dietschis
Feld unter
Dieben so
populär war, hat einen bestimmten Grund: Er ist
Hanfbauer. In der
Schweiz ein
Hanffeld zu bestellen, das ist manchmal nichts anderes,
als in
Deutschland eine
Freibierparty zu geben. Nur, dass man niemanden
eingeladen hat. Etwa 15 Jahre ist es
her, da fiel einigen Menschen auf, dass es in der
Schweiz zwar Gesetze
gab, die
den Konsum von Marihuana verboten, aber nichts
dergleichen für den
Anbau
existierte. Sehr bald begannen Bauern mit der
Kultivierung von Hanf,
andere spezialisierten sich auf den Verkauf von
Duftkissen. Ein
Duftkissen, so die Überlegung der Händler, war ja nicht
zum Konsumieren
da,
sondern zum Duften. Das sagte ja schon der Name. Rein
theoretisch hätte
man den
Inhalt des Kissens auch rauchen können. Irgendwann in dieser
Zeit fiel Markus Dietschi eine Chiffre-Anzeige in der
Lokalzeitung auf:
Es ging
um den Anbau von Hanf, "tolle Verdienstmöglichkeiten"
wurden in
Aussicht
gestellt. Er schrieb an die Chiffre-Nummer und bekam
bald einen Anruf:
"Ich
stelle Ihnen das Saatgut zur Verfügung und hole mir den
Hanf dann ab",
hieß es. "Ist das alles denn legal?", fragte Markus
Dietschi. "Aber
sicher.
Achten Sie
nur darauf, dass Sie den Hanf nicht direkt an der Straße
anbauen." Markus
Dietschi wurde skeptisch, aber es spielte ohnehin keine
Rolle mehr: Der
Mann
meldete sich kein zweites Mal und schaltete auch keine
weiteren
Chiffre-Anzeigen. Im redaktionellen Teil der Zeitung
konnte Markus
Dietschi nun
Berichte lesen, in denen von Verhaftungswellen unter
einheimischen
Dealern die
Rede war. Offensichtlich waren doch Menschen auf die
Idee gekommen, den
Inhalt
ihrer Duftkissen zu rauchen. Hanf für Duftkissen
baut in der Schweiz heute niemand mehr an - zumindest
nicht legal: Zwar
gibt es
bis heute kein Gesetz über den Hanfanbau, dafür jede
Menge
Präzedenzfälle.
Deswegen muss ein Bauer nun beweisen, dass sein Hanf
nicht zu Zwecken
dient,
die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen - das
kann er, indem er
den
Abnehmer offen legt. Über den THC-Gehalt - also die Dosis jenes
Stoffes, der berauschend wirkt - gibt es hingegen keine eindeutige
Aussage - schließlich kann man auch hochgradig
berauschenden Hanf noch
zu einer
Hose verarbeiten. So manches Hanffeld wird dadurch zur
Einladung. Anfang 2007 fiel
Markus Dietschi erneut eine Zeitungsanzeige auf, in der
jemand einen
Geschäftspartner für Hanfanbau suchte. Diesmal mit
Telefonnummer. Es
ging um ein Massageöl. Warum also nicht? Es dauerte nur
wenige Wochen,
dann
sprossen auf Markus Dietschis Acker die ersten
zierlichen Hanftriebe.
Direkt am
Straßenrand, zumindest fast: Einige Reihen Mais hatte er
noch davor
gepflanzt,
er wollte ja niemanden einladen. Markus Dietschi ist
ein Mann von 33 Jahren, dessen Erscheinungsbild
überhaupt nicht in den
verschlafenen Charme seines Bauernhauses passen will: Er
ist leger
gekleidet,
trägt das blonde Haar kurz und eine Brille mit kleinen,
runden Gläsern.
Ohnehin
ist er nicht wirklich ein Bauer, sondern eher ein
Unternehmer, der
nebenher ein
paar Felder bestellt. Er hat eine kleine
Zeitarbeitsfirma, und wenn das
Handy klingelt, geht es meist darum. Im Spätsommer
reiften die ersten Blüten. Das war gut, denn aus ihnen
sollte später
die Essenz
für das Massageöl hergestellt werden - aber es war auch
wieder
schlecht, weil es
ausgerechnet die Blüten sind, die das THC enthalten. So
schnell, wie
sie
gekommen waren, waren sie auch schon wieder weg. Es war
ein Schock. "Da
war uns
klar: Wir müssen sofort reagieren. Sonst können wir
nichts ernten."
Also
stellten sie einen Wohnwagen neben das Feld und
besorgten sich
Sicherheitsleute. Und die Hunde. Die Wachmänner waren
beliebt. Oft kamen Leute vorbei und führten mit ihnen
ausgedehnte
Gespräche,
vor allem abends und nachts. Das ging solange, bis einer
von ihnen
schemenhaft
Menschen sah, die währenddessen von der anderen Seite
ins Feld
schlüpften. Von
nun an redeten die Wachmänner mit niemandem mehr. Es gab verschiedene
Arten von Dieben, das merkte man daran, wie sie mit den
Pflanzen
umgingen: Die
Profis begnügten sich damit, die Blüten mitzunehmen,
während die
Gelegenheitsdiebe ganze Pflanzen aus dem Boden rissen.
Wer in der Nacht
gekommen war, das konnte Markus Dietschi am nächsten Tag
immer am
Zustand des
Feldes ablesen: Manchmal waren ganze Pflanzenreihen
sauber abgeerntet,
mitunter
sah es aus, als hätte jemand Fußball gespielt: Viel
Grünzeug lag dann
auf dem
Boden herum, außerdem waren überall Fußabdrücke. In der Nähe von
Markus Dietschis Hanffeld gibt es eine kleine Brücke,
die eigentlich
ins Nichts
führt. Wer nicht zu seinem Feld will, hat keinen Grund,
sie zu
überqueren. In
diesem Sommer sah Markus Dietschi oft Fußgänger auf der
Brücke. Sie
hatten es
nicht eilig und schauten in aller Ruhe auf sein Feld. Einmal, es war
helllichter Tag, ging der Wachhabende auf die Toilette
und stellte bei
seiner
Rückkehr fest, dass wieder einmal Pflanzen fehlten.
Menschen hatte er
in der
Nähe des Feldes nicht gesehen, weder vor- noch
hinterher. Jemand musste
stundenlang im Maisfeld nebenan gehockt haben. Ein
andermal fischten
sie mitten
in der Nacht einen Jungen aus dem Feld, die Hunde hatte
ihn entdeckt.
Es war
ein Kind, kaum älter als zwölf Jahre. "Ich wollte nur
ein Souvenir
haben",
stammelte er. Kurz vor der Ernte
entdeckte ein Wachmann die Reifenabdrücke. Sie waren
inmitten von
Fußspuren,
wie es sie an vielen Stellen des Feldes gab, und
schnitten eine
Schneise, die
am Feldrand begann und in den Mais hineinführte. Der
Wächter folgte den
Spuren - und entdeckte schließlich mitten im Hanf einen
großen, weißen
Lieferwagen,
neben dem ein Mann stand. "Ich wollte nur mal schauen,
was hier
angebaut wird",
sagte dieser. Am Ende des Sommers
konnte Markus Dietschi seinen Hanf ernten. Es war
weniger als er
erwartet hatte - aber immer noch genug, um es in diesem
Jahr erneut zu
wagen. Jetzt
erst
recht. Und diesmal wird es mehr werden, dafür sorgen
schon die Hunde:
Ausgebildete Hunde werden es sein, Polizeihunde. Von
Anfang an. Aber
vielleicht ist das ja auch gar nicht
nötig. Möglicherweise hat sich in diesem Jahr schon
etwas ganz anderes
herumgesprochen - unter den Leuten nämlich, die den Hanf
mit nach Hause
genommen haben.
"Dass mein Hanf kein THC enthält, konnte man den Pflanzen ja nicht ansehen." Markus Dietschi grinst. Es ist seine späte Rache. |
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