Sebastian_Stoll


 

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Der Ackermann

Die Schweiz ist das Afghanistan des Marihuana-Anbaus.
Manche Bauern haben Angst, dass ihnen die Kiffer
nachts die Felder abräumen. Zum Beispiel dieser.



Dummy, Heft 19, Sommer 2008


Bei Markus Dietschi riecht es ein bisschen nach Hund. Das liegt vermutlich an den beiden Berner Sennenhunden sowie dem Schäferhund, welche die meiste Zeit des Tages träge im engen Flur seines Bauernhauses dösen, und an denen sich jeder Besucher zunächst vorbeiarbeiten muss. "Ohne Hunde wären wir in der Nacht rettungslos verloren", lautet ein Satz, den Markus Dietschi öfter sagt. Auf ihn folgt stets ein Stoßseufzer. Amen.

Wenn Markus Dietschi von Hunden redet, meint er allerdings Wachhunde. Die auf dem Feld. Jene Hunde also, die er und sein Geschäftspartner sich vergangenen Sommer in aller Eile ausgeliehen hatten, um zu retten, was zu retten ist. Um endlich all die Diebe loszuwerden, die sich vorher wochenlang am gedeckten Tisch bedient hatten. Am Ende klappte es leidlich: Etwa zwei Drittel ihrer Ernte konnten sie noch einbringen, den Hunden sei Dank. Dass Markus Dietschis Feld unter Dieben so populär war, hat einen bestimmten Grund: Er ist Hanfbauer. In der Schweiz ein Hanffeld zu bestellen, das ist manchmal nichts anderes, als in Deutschland eine Freibierparty zu geben. Nur, dass man niemanden eingeladen hat.

Etwa 15 Jahre ist es her, da fiel einigen Menschen auf, dass es in der Schweiz zwar Gesetze gab, die den Konsum von Marihuana verboten, aber nichts dergleichen für den Anbau existierte. Sehr bald begannen Bauern mit der Kultivierung von Hanf, andere spezialisierten sich auf den Verkauf von Duftkissen. Ein Duftkissen, so die Überlegung der Händler, war ja nicht zum Konsumieren da, sondern zum Duften. Das sagte ja schon der Name. Rein theoretisch hätte man den Inhalt des Kissens auch rauchen können.

Irgendwann in dieser Zeit fiel Markus Dietschi eine Chiffre-Anzeige in der Lokalzeitung auf: Es ging um den Anbau von Hanf, "tolle Verdienstmöglichkeiten" wurden in Aussicht gestellt. Er schrieb an die Chiffre-Nummer und bekam bald einen Anruf: "Ich stelle Ihnen das Saatgut zur Verfügung und hole mir den Hanf dann ab", hieß es. "Ist das alles denn legal?", fragte Markus Dietschi. "Aber sicher. Achten Sie nur darauf, dass Sie den Hanf nicht direkt an der Straße anbauen."

Markus Dietschi wurde skeptisch, aber es spielte ohnehin keine Rolle mehr: Der Mann meldete sich kein zweites Mal und schaltete auch keine weiteren Chiffre-Anzeigen. Im redaktionellen Teil der Zeitung konnte Markus Dietschi nun Berichte lesen, in denen von Verhaftungswellen unter einheimischen Dealern die Rede war. Offensichtlich waren doch Menschen auf die Idee gekommen, den Inhalt ihrer Duftkissen zu rauchen.

Hanf für Duftkissen baut in der Schweiz heute niemand mehr an - zumindest nicht legal: Zwar gibt es bis heute kein Gesetz über den Hanfanbau, dafür jede Menge Präzedenzfälle. Deswegen muss ein Bauer nun beweisen, dass sein Hanf nicht zu Zwecken dient, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen - das kann er, indem er den Abnehmer offen legt. Über den THC-Gehalt - also die Dosis jenes Stoffes, der berauschend wirkt - gibt es hingegen keine eindeutige Aussage - schließlich kann man auch hochgradig berauschenden Hanf noch zu einer Hose verarbeiten. So manches Hanffeld wird dadurch zur Einladung.

Anfang 2007 fiel Markus Dietschi erneut eine Zeitungsanzeige auf, in der jemand einen Geschäftspartner für Hanfanbau suchte. Diesmal mit Telefonnummer. Es ging um ein Massageöl. Warum also nicht? Es dauerte nur wenige Wochen, dann sprossen auf Markus Dietschis Acker die ersten zierlichen Hanftriebe. Direkt am Straßenrand, zumindest fast: Einige Reihen Mais hatte er noch davor gepflanzt, er wollte ja niemanden einladen.

Markus Dietschi ist ein Mann von 33 Jahren, dessen Erscheinungsbild überhaupt nicht in den verschlafenen Charme seines Bauernhauses passen will: Er ist leger gekleidet, trägt das blonde Haar kurz und eine Brille mit kleinen, runden Gläsern. Ohnehin ist er nicht wirklich ein Bauer, sondern eher ein Unternehmer, der nebenher ein paar Felder bestellt. Er hat eine kleine Zeitarbeitsfirma, und wenn das Handy klingelt, geht es meist darum.

Im Spätsommer reiften die ersten Blüten. Das war gut, denn aus ihnen sollte später die Essenz für das Massageöl hergestellt werden - aber es war auch wieder schlecht, weil es ausgerechnet die Blüten sind, die das THC enthalten. So schnell, wie sie gekommen waren, waren sie auch schon wieder weg. Es war ein Schock. "Da war uns klar: Wir müssen sofort reagieren. Sonst können wir nichts ernten." Also stellten sie einen Wohnwagen neben das Feld und besorgten sich Sicherheitsleute. Und die Hunde.

Die Wachmänner waren beliebt. Oft kamen Leute vorbei und führten mit ihnen ausgedehnte Gespräche, vor allem abends und nachts. Das ging solange, bis einer von ihnen schemenhaft Menschen sah, die währenddessen von der anderen Seite ins Feld schlüpften. Von nun an redeten die Wachmänner mit niemandem mehr.

Es gab verschiedene Arten von Dieben, das merkte man daran, wie sie mit den Pflanzen umgingen: Die Profis begnügten sich damit, die Blüten mitzunehmen, während die Gelegenheitsdiebe ganze Pflanzen aus dem Boden rissen. Wer in der Nacht gekommen war, das konnte Markus Dietschi am nächsten Tag immer am Zustand des Feldes ablesen: Manchmal waren ganze Pflanzenreihen sauber abgeerntet, mitunter sah es aus, als hätte jemand Fußball gespielt: Viel Grünzeug lag dann auf dem Boden herum, außerdem waren überall Fußabdrücke.

In der Nähe von Markus Dietschis Hanffeld gibt es eine kleine Brücke, die eigentlich ins Nichts führt. Wer nicht zu seinem Feld will, hat keinen Grund, sie zu überqueren. In diesem Sommer sah Markus Dietschi oft Fußgänger auf der Brücke. Sie hatten es nicht eilig und schauten in aller Ruhe auf sein Feld.

Einmal, es war helllichter Tag, ging der Wachhabende auf die Toilette und stellte bei seiner Rückkehr fest, dass wieder einmal Pflanzen fehlten. Menschen hatte er in der Nähe des Feldes nicht gesehen, weder vor- noch hinterher. Jemand musste stundenlang im Maisfeld nebenan gehockt haben. Ein andermal fischten sie mitten in der Nacht einen Jungen aus dem Feld, die Hunde hatte ihn entdeckt. Es war ein Kind, kaum älter als zwölf Jahre. "Ich wollte nur ein Souvenir haben", stammelte er.

Kurz vor der Ernte entdeckte ein Wachmann die Reifenabdrücke. Sie waren inmitten von Fußspuren, wie es sie an vielen Stellen des Feldes gab, und schnitten eine Schneise, die am Feldrand begann und in den Mais hineinführte. Der Wächter folgte den Spuren - und entdeckte schließlich mitten im Hanf einen großen, weißen Lieferwagen, neben dem ein Mann stand. "Ich wollte nur mal schauen, was hier angebaut wird", sagte dieser.

Am Ende des Sommers konnte Markus Dietschi seinen Hanf ernten. Es war weniger als er erwartet hatte - aber immer noch genug, um es in diesem Jahr erneut zu wagen. Jetzt erst recht. Und diesmal wird es mehr werden, dafür sorgen schon die Hunde: Ausgebildete Hunde werden es sein, Polizeihunde. Von Anfang an.

Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht nötig. Möglicherweise hat sich in diesem Jahr schon etwas ganz anderes herumgesprochen - unter den Leuten nämlich, die den Hanf mit nach Hause genommen haben.

"Dass mein Hanf kein THC enthält, konnte man den Pflanzen ja nicht ansehen." Markus Dietschi grinst. Es ist seine späte Rache.
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