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Der Krankmacher
Peter Zickenrott verdiente lange Jahre sein Geld als Berater für Armee-Unwillige. Das Ende der Wehrpflicht zwingt ihn nun, umzudisponieren Der Freitag. 28.04.2011
So spricht ein Mann, der noch wenige
Minuten zuvor erklärt hat, dass Angst das dominierende
Gefühl
in seinem Leben sei. Der Peter Zickenrott, der Angst hat,
saß noch in seinem alten, grün gestrichenen Büro einige
Kilometer nördlich und erzählte von einer Bild-Ausgabe,
die
ihm Anfang der achtziger Jahre in die Hände fiel. In
einem
Nebenjob auf dem Bau sei das gewesen, in der Zeitung
ging es um
Afghanistan: „Weltkrise – schon 10.000 30 Jahre später ist Zickenrott
49, hat einen Bauch, eine Glatze und in seinem alten
Büro ein
ständig klingelndes Telefon. Ein Mann von der Telekom
ist dran und
sagt, dass er in die neue Wohnung müsse. „Sie können ja
mit“,
sagt Zickenrott zum Reporter und setzt sich in seinen
Audi. Er
fährt äußerst sportlich. Peter Zickenrott ist
Ausmusterungsberater, genauer gesagt: Er war es. Wer
sich in den
vergangenen 20 Jahren die Zeit bei der Bundeswehr sparen
wollte, der
kam zu ihm, zahlte 397 Euro und hatte nach der Beratung
eine Krankheit,
die ihm den Dienst an der Waffe ersparte. Jetzt ist
diese Zeit vorbei,
der Wehrdienst wird am 1. Juni 2011 ausgesetzt. Für
Peter
Zickenrotts Arbeit gilt das schon heute – schließlich
wird
bereits jetzt niemand mehr eingezogen. „Ich bin auch ein
bisschen
müde“, sagt Zickenrott. Nein, wirklich, er sei froh,
sagt er.
Warum auch nicht? Es war ein langsamer Tod, den die
Wehrpflicht starb,
so richtig mitbekommen hat ihn am Ende eigentlich keiner
mehr. Warum
sollte für einen Ausmusterungsberater anderes gelten? Das
neue Geschäft: Frührentner Zum
Antimilitaristen wurde Peter Zickenrott von seinem Vater
erzogen, auch
wenn der das so gar nicht wollte: Der Vater hatte in
beiden Weltkriegen
gekämpft, seine Erziehung bestand im Wesentlichen aus
Spaziergängen, auf denen er dem Sohn den Unterschied
zwischen
Schwarzpulver und Amongelit erklärte, zwischen Dynamit
und
Nitroglycerin. „Einmal sagte mein Vater, man könne mit
einem
Karabinerschuss sieben Menschen töten, wenn man sie
hintereinanderstellt. Sechs Leute durchschlägt die
Kugel, der
siebte wird noch getroffen.“ Und noch etwas sagte der Vater
über den Krieg: Wer nicht will, wird erschossen. Peter Zickenrott wollte nicht. Nicht
in den Krieg und nicht erschossen werden. Dass zumindest
eines von
beidem sein unvermeidbares Schicksal sein würde, das
wusste er mit
dem Eintreffen des Musterungsbescheides. Auf dem
Kreiswehrersatzamt
schwitzte er Blut und Wasser, aber das schien niemanden
zu
interessieren. „Ich hatte den Eindruck, dass es denen
nur auf das
mechanische Funktionieren der Maschine Mensch ankommt“,
ist einer der
Sätze, in denen Peter Zickenrott redet. Im letzten
Moment fiel ihm
die Angst ein, die ihn sein Leben lang begleitet hatte –
und die
Tatsache, dass ihn niemand danach gefragt hatte. Also
sagte er: „Ich
habe oft Angstzustände“. Man schickte ihn zu einem
Neurologen. „Hallo Herr Zickenrott, ich habe
gehört, Sie streben eine militärische Karriere an?“,
waren
die Worte, mit denen ihn der Arzt empfing.Peter
Zickenrott verstand
nicht. „Ich bin hier, weil ich Angst habe“, sagte er,
doch das
interessierte den Arzt offensichtlich nicht. „Wie geht
es Ihrer
Mutter?“, fragte der und gab damit das Thema der
Unterhaltung vor.
Minutenlang redeten sie über – nichts. Es war ein
Austausch von
Belanglosigkeiten. Zickenrott glaubte, der Arzt ließe
ihn
auflaufen, wolle ihm seine Angst nicht glauben. Bald
schon würde
er nun also im Krieg sterben müssen. Wieder zitterte er,
wieder
dieses Schwitzen. Wenige Wochen darauf hatte Zickenrott
den Bescheid im Briefkasten: Tauglichkeitsgrad 5,
was seinerzeit
„nicht verwendungsfähig“ bedeutete. Das Schreiben
schloss: „Sie
unterliegen nicht mehr der Wehrdienstüberwachung.“ Als
er den Arzt
später einmal auf die Untersuchung ansprach, sagte
dieser, er habe
ganz bewusst belanglose Fragen gestellt. „Ich wollte
sehen, wie Sie
reagieren. Als Sie mit der Zeit immer nervöser wurden,
wusste ich:
Die Bundeswehr ist nichts für Sie." Peter Zickenrott erzählte
Freunden und Bekannten von seiner Ausmusterung: „Wenn
ich das schaffe,
dann könnt Ihr das auch“, sagte er. Und behielt recht:
Niemand in
seinem Bekanntenkreis musste zur Bundeswehr, sämtliche
Freunde
wurden ausgemustert. Alle krank. Psychisch krank. Um ganz zu verstehen, warum es Zickenrott nicht bei den Tipps für die Freunde beließ, sondern warum er sich als Ausmusterungsberater selbstständig machte, muss man noch von der Sache mit dem Lachgas-Einspritzsystem wissen. In den USA sind Dragster mit solchen Anlagen unterwegs, Autos also, die nicht einmal Kurven fahren können und deren einziger Zweck es ist, in Rennen mittels Lachgas möglichst schnell zu beschleunigen. Peter Zickenrott wollte dieses System in Deutschland einführen, am liebsten im Straßenverkehr. Heute gibt es in Deutschland keine Autos mit Lachgas-Einspritzsystem, aber die Bank wollte 150.000 Mark zurück. Also setzte Peter Zickenrott sich hin
und verfasste den Anti-Wehrdienst-Report.
Oft schrieb er bis in die Nacht, am nächsten Morgen um
acht musste
er wieder an seinem Arbeitsplatz, einer Fabrik,
erscheinen. Der Report
ist ein Buch, in dem die Namen von Krankheiten vorkommen
wie „Pavor
Nocturnus“, „Schenck-Syndrom“ oder „Dysmorphophobie“.
Darüber
hinaus finden sich im Anti-Wehrdienst-Report
Fallstudien wie die von Dirk, der allen Mut
zusammennimmt,
auf dem Kreiswehrersatzamt von seinen Panikattacken
erzählt und so
vom Wehrdienst verschont bleibt – oder die von Ralf,
einer „sehr
labilen Person“, die zu viel Zeit auf Partys verbringt:
„Vermutlich
irreversible Depression aufgrund jahrelangen
Ecstasymissbrauchs“,
lautet sein Happy End. Andere Kapitel tragen
Überschriften wie „Der richtige Umgang mit den Schergen
unserer
Bürokratiediktatur“ oder: „Wie finde ich heraus, ob sich
der Arzt,
bei dem ich in Behandlung bin, für mein Vorhaben
eignet?“ Die Geschäftsidee funktionierte,
und zwar schnell: Anfangs inserierte Zickenrott sein
Buch noch im
lokalen Anzeigenblatt und schickte Menschen, die bereit
waren,
dafür 50 Mark zu zahlen, einen Stapel zusammenkopierter
DIN-A4-Seiten zu. Es waren Dutzende, jeden Monat. Also
erweiterte er
sein Angebot. Er bot nun eine telefonische Beratung an,
die
ungefähr darin bestand, dass Menschen, die ein paar
Symptome
schilderten, eine Krankheit genannt bekamen, auf welche
diese
hindeuteten – sowie einen Weg, ihre Erkrankung schlüssig
nachzuweisen. Es war wie bei einem Guru, nur umgekehrt:
Während
Kranke sich von einem Wunderheiler Gesundheit wünschen,
fehlte
Peter Zickenrotts Klientel einfach die richtige
Krankheit. Insgesamt
hätte sich die Auflage des Anti-Wehrdienst-Reports auf eine Zahl
„im hohen fünfstelligen
Bereich“aufsummiert. Echte
Leiden, erfundene Preise „Wehrpflichtentziehung durch
Täuschung“ lautet der Paragraph im Strafgesetzbuch, dem
Peter
Zickenrott bereits eine Hausdurchsuchung zu verdanken
hat und einen
Prozess, den er letztinstanzlich gewann. Würde er sagen,
er denke
sich Krankheiten für Menschen aus, könnte es aber auch
heute
noch ganz schnell zu einer Neuauflage des Verfahrens
kommen. Peter
Zickenrott könnte sagen, er hilft Menschen beim Erkennen
ihrer
Krankheit. Aber er sagt viel mehr. „Wir sind eine kranke
Gesellschaft,
unsere Lebensumstände lassen gar nichts anderes mehr zu,
als krank
zu sein. Wir leben in einem System, das darauf basiert,
den Menschen
Angst zu machen.“ Und es ist die Bundeswehr, in der das
alles
kulminiert, da ist sich Peter Zickenrott sicher: Acht
Leute kaserniert
auf einer Stube, so viel Druck, alle brauchen ein
Ventil: „Das Opfer
wird dann der Schwächste sein, klar.“ Nach dem Termin in seiner neuen
Wohnung fährt Peter Zickenrott zurück in sein altes Büro
und bekommt dort erneut einen Anruf. Diesmal von einem
Kunden. Er
spricht in ein Headset, ganz wie in einem Call-Center
,und sagt
Sätze wie „Die Hirnleistung muss bei einer Depression
nicht
zwingend herabgesetzt sein“ oder: „Denken Sie an Ihre
Symptome; das
ausgeprägte Morgentief.“ Ein anderer Satz lautet: „Wenn
Ihr Bruder
mit ähnlichen Symptomen belastet ist, deutet das auf ein
vererbtes
Leiden hin.“ Es ist nicht vorbei, Peter Zickenrott hat
sein
Geschäft nur verlagert: Heute berät er Menschen, die so
krank
sind, dass sie dringend eine Frühverrentung benötigen.
„Grenzenlose Trauer“, murmelt er noch ins Telefon. So ein Frührentenantrag ist ein
ganz anderer Aufwand als eine Ausmusterung, jede Menge
Versicherungsfragen sind zu klären, und die meisten
seiner Kunden
müssen eine aufwändige Reha durchlaufen. Vor allem aber
steht
vielen am Ende MMPI-2 bevor, das „Minnesota Multiphasic
Personality
Inventory-2“. Ein klinischer Persönlichkeitstest mit 567
Aufgaben,
an dessen Ende eine Diagnose steht. Peter Zickenrott
kennt den
MMPI-2-Test genau, und er sorgt dafür, dass es seinen
Klienten
genauso geht: Statt einer Telefonberatung bekommen die
Kandidaten
für die Frührente oft anderthalb Jahre Begleitung. Peter
Zickenrott bietet diese Dienstleistung für 8.000 Euro
an. „Ich bin
ein schlechter Betriebswirt. Ich kalkuliere nicht,
sondern erfinde
einfach einen Preis, den ich für angemessen halte“, sagt
er. Einem
Journalisten. Es ist nicht so, dass Peter
Zickenrott seine Ideale verraten hat. Er musste sie
einfach nicht mehr
durchsetzen, das hat die Politik für ihn gemacht. „Ich
halte es
durchaus für möglich, dass der Wehrdienst wieder
zurückkommt, wenn die Politik merkt, dass sich nicht
genügend
Freiwillige finden. Dann bin ich wieder da“, sagt er.
Überhaupt:
Es sei immer noch das System, das krank mache, findet
er, und er helfe
den Leuten nun eben aus der Mühle des Berufslebens
heraus. Herr Zickenrott, Sie haben das 20
Jahre lang gemacht, haben sich die Leute, die Sie
beraten,
verändert? „Nein, die meisten empfanden es einfach als
großen Nachteil, aus dem Beruf oder Studium
herausgerissen zu
werden, das war immer gleich.“ Allein der Zeitpunkt des
Anrufs habe
sich verlagert: „Früher kamen die Leute lange vor der
Musterung,
später erst, wenn sie schon einberufen waren und es
nicht glauben
konnten.“ Angst macht einem nur Das gilt auch für Zickenrott selbst: „Ich will doch keine Strahlen in der Bude“, hatte er noch in der neuen Wohnung gesagt und dabei auf das Atomkraftwerk geschaut. Aber er meinte bloß seinen neuen Internetanschluss. Ein Kabel reiche ihm schon, bitte bloß kein WLAN. |
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