Sebastian_Stoll


 

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Das gebrannte Kind

Als sein kleiner Afro-Shop in Göttingen
brannte, dachte der nigerianische
Geschäftsmann Joseph Michael, es könne nicht mehr
schlimmer kommen.  Er irrte sich. Eine Geschichte
über die Macht der Stigmatisierung.


Der Freitag  03.09.2009


Erschienen unter dem Titel "Der Brandstifter, der Feuer fing"


Wer in Göttingen nach Joseph Michaels Wohnung sucht, braucht nicht allzu viele Informationen. Der Name der Straße genügt. Wo auf Augenhöhe in schwarzen Buchstaben das seltsame Wort „mitbetreuger“ steht, liegt Joseph Michaels kleine Wohnung. Sie liegt in einem zweistöckigen Bau, dessen rotbraune Plastikverschalung an Backsteine erinnern will. Das Wort steht schon länger dort. Seit dem vergangenen Herbst hat sich niemand die Mühe gemacht, es zu entfernen.

Joseph Michael ist 42 Jahre alt, nigerianischer Geschäftsmann mit einem kleinen Kugelbauch und kurzem Bart, der besser Englisch spricht als Deutsch. Aber er weiß, dass „mitbetreuger“ eigentlich „Mietbetrüger“ heißen soll. Er hat das Wort oft gehört. Lange bevor er gezwungen war, in seiner Ein-Zimmer-Wohnung Pappkartons bis unter die Decke zu stapeln. Bevor er sein Warenlager aufgeben musste, weil er plötzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen war. Weil sein kleiner Afro-Shop von einem Tag zum anderen nicht mehr existierte.

Joseph Michaels Geschichte beginnt wie viele Geschichten in Deutschland. Sie handelt von einem Ausländer, der von Neonazis bedroht wird, und von einem Brand. Die Behörden sind von Beginn an sicher, dass die Ursache für das Feuer nur ein technischer Defekt sein kann. Die meisten Geschichten sind an dieser Stelle zu Ende.

Joseph Michaels Geschichte geht weiter. Bis heute. Sie handelt von Menschen, denen es nicht ausreicht, allein die berufliche Existenz eines Ausländers zu zerstören. Und von Nachbarn, die Angst davor haben, auch in der Privatwohnung Joseph Michaels könnte bald ein technischer Defekt auftreten, und der Brand könnte übergreifen. Und die ihn ihre Angst spüren lassen.

Es ist eine kleinliche, hässliche Geschichte, an deren Anfang eine große persönliche Idee stand: Joseph Michaels Idee, einen eigenen Afroshop zu eröffnen. In Göttingen leben viele Afrikaner, doch die Community konnte nirgendwo afrikanische Waren kaufen. Joseph Michael wusste das aus eigener Erfahrung, und im Jahr 2006 hatte er den Mut, seinen Aushilfsjob in einer Bäckerei gegen einen eigenen Laden einzutauschen, den „O.J. Markt“. Er verkaufte dort afrikanische Produkte, aber auch jene teuren italienischen Lederschuhe, die in Nigeria trägt, wer etwas auf sich hält und es sich leisten kann. „Es war mein Weg“, sagt er heute über diese Zeit.

Jemand hängte einen Zettel an seinen Laden: „Mietbetrüger"

Zwei Jahre nach der Eröffnung wechselte der Vermieter der Ladenräume des „O. J. Marktes“. Sehr bald schon lernte Joseph Michael den neuen Hausbesitzer persönlich kennen, denn dieser suchte ihn in seinem Shop auf und kündete eine Mieterhöhung an. Von vierzig Prozent. Joseph Michael verlangte eine gerichtliche Klärung und bot an, bis dahin die ursprüngliche Miete zu überweisen – diese allerdings nahm der neue Eigentümer nicht mehr an. Statt dessen musste Joseph Michael von nun an jeden Morgen von seinem Schaufenster einen Zettel abhängen, auf dem stand „zu vermieten“.

Bald schon wechselte der Zettel, nun war darauf zu lesen Mietbetrüger“.

Der Vermieter besuchte Joseph Michaels Afro-Shop nun regelmäßig. Allerding betrat er das Geschäft nicht mehr, sondern ging daran vorbei, und er kam nie allein, sondern wurde meist von ein bis zwei Männer eskortiert, die groß und stämmig waren und manchmal eine Glatze trugen. Gemeinsam schossen sie Fotos. Wenn Joseph Michael allein im Geschäft war, schloss er nun immer ab.

Mietstreitigkeiten sind eine komplizierte Angelegenheit, und meist hat jede der beteiligten Parteien ihre eigene Version der Ereignisse. In diesem Fall ist es anders – ausgerechnet die Göttinger NPD ist es, die der Geschichte, wie Joseph Michael sie erzählt, unfreiwillig eine besondere Glaubwürdigkeit verleiht: Noch heute sind auf der Internetseite der Lokalgruppe Berichte über einen Vermieter zu lesen, der sich mit einem „Hilferuf“ an die Partei gewandt habe. Die Texte tragen Titel wie „Göttinger Vermieter hat ein Negerproblem“. Als Rechtsbeistand bestellte der Hauseigentümer Jochen Freiherr von W. den bekannten Neonazi-Anwalt Klaus Kunze.

An den 27. September vergangenen Jahres hat Joseph Michael nur noch verschwommene Erinnerungen. Er weiß noch, dass es ein Samstag Vormittag war, der als sonniger Herbstmorgen begann und damit endete, dass Freunde ihm so lange zuredeten, bis das Zittern aufhörte.

Dazwischen: Ruß. Er war zu seinem Laden gekommen, um aufzuschließen. Aber da war kein Laden mehr. Niemand hatte ihn darüber informiert, dass in der Nacht zuvor sein Geschäft abgebrannt war. Warum auch? Das Haus gehörte ihm ja nicht.

Bei den folgenden Ermittlungen stellten die Behörden fest, dass das Feuer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch einen Kabeldefekt an einer Tiefkühltruhe ausgelöst worden sei. In einem von dreißig Fällen versagten die Sicherungen, sagte man ihm. Ein offizielles Brandgutachten wurde nicht angefertigt. Auch eine Überwachungskamera am Geschäft nebenan wurde bei den Ermittlungen nicht berücksichtigt. Joseph Michaels Laden hätte im Fokus dieser Kamera gelegen – hätte nicht jemand zwei Tage zuvor im Sichtfeld eine Werbeanzeige angebracht. Die Anzeige wirbt für ein Geschäft, das Joseph Michaels Vermieter gehört.

„Das ist normal. Wenn Besuch zu mir kommt, gucken die immer,“ sagt Joseph Michael, als vor seinem Fenster eine korpulente Frau auftaucht, die wenige Minuten zuvor aus einem roten Passat gestiegen ist. Sie steht auf der Straße und gibt sich keine Mühe, zu verbergen, wohin sie schaut: direkt in seine Wohnung. Dann telefoniert sie. Das ist normal. Jedenfalls im Leben eines Menschen, den andere „Mietbetrüger“ nennen.

Joseph Michael hatte die Warnung sofort verstanden. „mitbetreuger“, das bedeutete nicht nur, dass jemand der Auffassung war, er habe Schulden, es hieß auch: Wir wissen, wo du wohnst.

Es passierte etwa eine Woche nach dem Brand, er war unterwegs, und ein Freund rief ihn an, er solle so schnell wie möglich zu seiner Wohnung kommen. Die Polizei wartete dort schon. Er kam und hörte schon im Hausflur, die Besitzerin seiner Privatwohnung laut und aufgeregt sprechen. Sie stand mit den Polizisten auf einem Treppenabsatz. Als er hinzukam, schickten sie ihn weg. Es handelte sich schließlich um eine Sachbeschädigung. Es sei ja nicht sein Eigentum, das beschmiert worden sei.

Auch das nächste Mal kam er nur zufällig dazu, als die Polizei vor seiner Wohnungstür stand. Dieses Mal waren es einige Nachbarn, die hastig auf die Beamten einredeten. Es seien Nazis im Hausflur gewesen, sagten sie. „Wir haben alles über ihn, Joseph Michael, im Internet gelesen. Wir können hier nicht mehr in Sicherheit leben.“

Joseph Michael stand dabei, er mischte sich nicht in die Unterhaltung ein. Er wusste nicht, was er dazu hätte beitragen können. Es ging ja um nichts, was er tat oder getan hatte, sondern um seine bloße Existenz in diesem Haus und darum, dass da draußen welche waren, die wussten, dass er hier lebte. Er war der Zaungast seines eigenen Untergangs.

Einige Tage später suchte seine Vermieterin ihn auf und legte ihm den Auszug nahe. So erzählt es Joseph Michael. Er müsse das einsehen: Es gebe nur einen Fluchtweg, die Frauen würden im Falle eines Feuers ihre Kinder nicht mehr aus dem Haus bekommen.

Joseph Michael trug das Feuer nun in sich

„Ich wusste: Von jetzt an habe ich einen zweiten Feind“, sagt er. Von den Nachbarn ist inzwischen nichts mehr zu sehen, dafür fährt die Polizei langsam an der Wohnung vorbei, im Schritttempo. Zweimal in zehn Minuten. Vielleicht ist es Zufall.

Joseph Michael begann damals, seine Wohnung zu meiden und zog vorübergehend zu Freunden. Das bot den Vorteil, dass er zu Hause die Waren aus seinem ehemaligen Lager unterbringen konnte.

Einmal, als er gerade einige Kartons einräumte, erschien einige Polizisten und baten ihn, einen Blick in die Wohnung werfen zu dürfen. Sie hätten einen Anruf erhalten, es rieche im Haus nach Rauch. Die Beamten rochen nichts. Auch die Kartons rochen nicht nach dem Brand seines Ladens, denn das Lager hatte sich an einem anderen Ort befunden. Aber Joseph Michael trug das Feuer nun in sich.

Ein andermal – es war der Abend des 23. Januar, Michael war mittlerweile in seine Wohnung zurückgezogen, klingelten widerum Polizisten bei ihm, als er eben sein Abendessen zubereitete. Sie verlangten, umgehend seine Wohnung in Augenschein zu nehmen. Joseph Michael fragte nach der rechtlichen Grundlage. Einer der Beamten telefonierte. Wenige Minuten später erschien ein knappes Dutzend Polizeibeamte, die im Treppenhaus standen und laut redeten: Es habe einen Anruf gegeben, sagten sie und erklärten ihm etwas in Amtsdeutsch, wobei das Wort „Illegale“ fiel. Sie seien verpflichtet, Hinweisen nachzugehen. Drei der Polizisten durchsuchten seine Wohnung. Das Ergebnis wurde in der „Niederschrift über Durchsuchung (Teil A)“ festgehalten: Keine weitere Person angetroffen.

Ute Z., eine Bekannte Joseph Michaels, die zufällig mit dem Fahrrad vorbei radelte und hinzukam, als sie zwei Polizeiwagen vor der Tür stehen sah, verfasste im Anschluss ein Gedächtnisprotokoll. Denn Joseph Michael nahm sich nun einen Anwalt, um zu versuchen, die Unrechtmäßigkeit der „Inaugenscheinnahme“ nachzuweisen.

Inzwischen wissen viele Menschen vieles über Joseph Michael. Sie kennen seinen Namen. Sie wissen, wo er lebt. Sie kennen seine Probleme mit Vermietern und mit der Polizei. Die Geschichte ist zu einer öffentlichen Treibjagd geworden, in der einer mit der Sprühdose markiert wurde und der Rest der Beteiligten sich teilt: in Freund und Feind.

Mehrmals demonstrierten in der Göttinger Innenstadt einige hundert Menschen, die einen Kabeldefekt für die zweitwahrscheinlichste Brandursache hielten. Feste wurden gefeiert, sie trugen Titel wie „Für einen neuen Afro-Shop in Göttingen!“

Seit Anfang März ist Joseph Michael wieder Besitzer eines Afro-Shops. Er verkauft afrikanische Kosmetika und italienische Lederschuhe in andereren Ladenräumen an einem anderen Ort bei einem anderen Vermieter.

Bisher kam das Feuer kein zweites Mal zu Joseph Michael zurück. Es suchte einen anderen heim: 70 Einsatzkräfte waren vor Ort, als es in der Nacht zum 9. November vergangenen Jahres in der Göttinger Vorstadt ausbrach. Ein Einfamilienhaus brannte völlig nieder, verletzt wurde niemand. Den Namen des Bewohners nennt die Polizei nicht. Aber vieles deutet darauf hin, dass es sich um Joseph Michaels Vermieter handelt. Die Brandursache ist unklar. Auch das ist ein Teil der Geschichte.

Joseph Michael ist ein Geschäftsmann, der bald einen neuen Laden einrichten will und neue Waren einkaufen muss. Er ist umtriebig und viel unterwegs. Nur nachts kann er schlecht schlafen. Manchmal hört er dann dieses Klopfen am Fenster. Eigentlich ist es nicht schlimm, denn in der Nähe seiner Wohnung befinden sich viele Kneipen, höchstwahrscheinlich nur wieder ein betrunkener Jugendlicher auf dem Weg von einem Bier zum nächsten. Joseph Michael aber springt dann immer aus dem Bett und stürzt ans andere Ende des Zimmers. Meistens kommt er zu spät, um jemanden zu erkennen. Er steht dann am Fenster und blickt in die leere Nacht.

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