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Die Wut ist geblieben
Der Amok von Blacksburg geschah fast genau fünf Jahre nach dem Massaker in Erfurt. Ein Anwalt, Hinterbliebener eines Opfers, erinnert sich an jenen Tag im April 2002. Facts, Heft 17/2007
Am 26. April 2002 ging Eric T. Langer am Morgen ins Büro und am Abend ins Kino. In den Stunden, die dazwischenlagen, hatte er zunächst Gerüchte gehört, im Erfurter Gutenberg-Gymnasium sei "etwas los". Hatte daraufhin erfolglos versucht, seine Lebensgefährtin Birgit zu erreichen, die dort Kunst unterrichtete. Hatte dann von Schüssen gehört. Hatte sich auf den Weg zur Schule gemacht, um Auskunft zu bekommen. Hatte niemanden gefunden, nur Polizisten, die sagten: "Ich darf nichts sagen." War alle Krankenhäuser abgefahren. Hatte schliesslich einen befreundeten Polizisten getroffen, der ihm sagte: "Birgit ist tot." Da war es früher Abend. Eric T. Langer ging zurück in sein Büro und arbeitete trotzdem weiter. Und ging anschliessend ins Kino. "Wir waren ja verabredet." Nach dem Kino betrank er sich. Zu Hause. Birgit Dettke starb auf einem Parkplatz. Während an diesem 26. April, dem Tag der Abiturprüfungen, ein ehemaliger Schüler das Schulhaus durchkämmte und mit einer Pumpgun Lehrer hinrichtete, lief sie wieder und wieder über den Schulhof und lotste Schüler aus dem Haus. Irgendwann wurde sie entdeckt. Sie flüchtete und wurde erschossen - neben einem dunkelblauen VW Lupo. Birgit Dettke ist einer von siebzehn Menschen, die an diesem Tag ihr Leben lassen mussten: zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Sekretärin, ein Polizist - und der Attentäter selbst, der 19-jährige Robert Steinhäuser. Aber hat wirklich nur er geschossen? "Ich halte einen zweiten Täter für wahrscheinlich", sagt Langer. Viel zu schnell habe sich Steinhäuser durch das vierstöckige Gebäude gearbeitet, als dass er hätte allein vorgehen können. Ausserdem gebe es genügend Zeugenaussagen, die einen zweiten Täter nahelegen. Eric T. Langer ist sich dessen sicher, denn er hat die Berichte selbst gesammelt: Nach dem Amoklauf konnte er nur das tun, was er gelernt hatte, etwas anderes ging nicht. Also wälzte der Rechtsanwalt über 8000 Seiten Gerichtsakten, studierte die Obduktionsberichte und verschickte 800 Fragebögen an die Zeugen des blutigen Tages. Zwei Jahre nach dem Amoklauf erstattete er Strafanzeige gegen die Einsatzkräfte. Der Vorwurf: unterlassene Hilfeleistung. Viele der Opfer seien entgegen der Angaben nicht sofort tot gewesen, sondern quälend langsam gestorben. Vielleicht hätte man jemanden retten oder zumindest aber das Sterben erleichtern können - hätte man den Einsatz nur besser koordiniert, so dass die Rettungskräfte früher mit ihrer Arbeit hätten beginnen können. Auf Fernsehaufnahmen will er seine Lebensgefährtin gesehen haben: tödlich verwundet, aber noch am Leben. "Immer, wenn ich mich zu Wort melde, heisst es: Ich reisse Wunden auf. Dabei können Wunden nur dann verheilen, wenn man objektiv mit den Dingen umgeht." Eric T. Langer redet schnell und laut, immer wieder lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück, nur um den Oberkörper gleich wieder auf den Tisch zu werfen. Für ihn ist es nicht vorbei, obwohl die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt hat; nur ein halbes Jahr nach seiner Strafanzeige. Noch heute sammelt er Material. "Was mir wehtut, ist, dass bis heute keiner einen Fehler eingestehen will. Wenn man sagt: 'Wir haben nichts falsch gemacht' - dann gibt es auch keine Notwendigkeit, etwas zu verändern." Stattdessen hätten die Ermittler gesagt, die Opfer, die meinten, einen zweiten Täter gesehen zu haben, seien traumatisiert gewesen - die anderen nicht. Als Langer vor wenigen Tagen die Bilder vom Amoklauf im amerikanischen Blacksburg erreichten, da liessen sie ihn zunächst kalt. Sicher, das sei schon eine Tragödie gewesen, "aber das Ereignis hat mich nicht mehr und nicht weniger bewegt als etwa ein Flugzeugabsturz, bei dem 200 Menschen ihr Leben verlieren". Erst in den Tagen darauf, als er die Nachberichterstattung verfolgte, da wurde er hellhörig. Um Aufklärung sei es gegangen, bereits am nächsten Tag seien Fragen gestellt worden: Was kann man machen, damit dies in Zukunft nicht mehr geschieht? Wie ist es möglich, dass der Täter seinen Amoklauf für zwei Stunden unterbrechen konnte, um Post wegzubringen? Nur zwei Tage habe es gedauert, dann sei ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden - "und wir haben anderthalb Jahre für so einen Ausschuss gekämpft. Da bin ich wütend geworden." Vielleicht ist es der Kampf, der Eric T. Langer zurück ins
Leben geholfen hat, Schritt für Schritt. Es fing an mit der Kleidung:
Zwei Jahre lang hatte er nur Schwarz und Weiss getragen, als Zeichen
seiner Trauer. Dann wagte er sich langsam wieder an Bunteres - zunächst
noch mit schlechtem Gewissen, später zog er einfach wieder an, was er
wollte. Mit den Farben kam auch der Bauch zurück: 20 Kilo hatte er
verloren, viele davon hat er zurückgewonnen. Und auch sein Briefkasten
sieht inzwischen anders aus: Es dauerte Jahre, bis er sich dazu
durchringen konnte, das Schildchen «Birgit Dettke» abzumontieren.
Inzwischen steht dort der Name einer anderen Frau.
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