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Der digitale
Mülltrenner
Eine kleine
Meldestelle kümmert sich darum, Hass aus
dem Internet zu entfernen. Es ist
deutschlandweit
die einzige und sie hat gut zu tun.
taz,
01.03.2018
Wenn Stephan Ruhmannseder morgens zur Arbeit kommt,
dann ist das Postfach meistens voller Tickets. Ein
„Ticket“, das ist ein Arbeitsauftrag: Jemand hat
seinen Arbeitgeber kontaktiert und Stephan
Ruhmannseder muss sich nun mit der Anfrage
auseinandersetzen. Die Fragen, mit denen er es zu tun
hat, ähneln sich meistens: Ist das eigentlich legal,
wenn jemand auf Twitter schreibt: „Mit den
Flüchtlingen werden auch die Müllverbrennungsanlagen
überfordert“? Kann man jemanden strafrechtlich
belangen, der in einem sozialen Netzwerk ein Bild
teilt, auf dem Pin-up-Girls Schachteln mit
Hakenkreuz-Aufdruck in die Kamera halten? Und ein
antimuslimisches Posting, in dem Deutschland höhnisch
als „Allahs Paradies“ bezeichnet wird – gibt es eine
Möglichkeit, das aus dem Netz zu bekommen?
Stephan Ruhmannseder wird die
Aufträge im Tagesverlauf abarbeiten. Normalerweise
schreibt er zunächst kurze freundliche Absagen zu
allen Tickets, bei denen er keine Chance auf Erfolg
sieht. Später am Tag setzt er sich mit den
restlichen Fällen auseinander – und wird
möglicherweise am Nachmittag eine oder mehrere
Anzeigen bei der Polizei stellen. So sieht sein Tag
aus: Hass sichten, Hass einordnen, dann dagegen
vorgehen. Oder auch nicht; je nachdem, was möglich
ist.
Stephan Ruhmannseder, ein
eher kleiner Mann mit dunklen Stoppeln auf dem Kopf,
arbeitet stehend an einem Pult; die helle Sonne des
Vormittags fällt ihm in den Rücken und direkt auf
seine zwei Monitore. Er sagt: „Ich bin keine
Ermittlungsbehörde. Meine Arbeit könnte theoretisch
jeder an seinem Schreibtisch verrichten. Jedenfalls,
sofern er bereit ist, sich in die Thematik
einzuarbeiten.“
Dem ist aber nicht so:
Stephan Ruhmannseder arbeitet für die Meldestelle
„respect!“, einer Anlaufstelle, der jeder Hass im
Internet melden kann. Wer in Deutschland etwas
Vergleichbares sucht, der wird nichts finden. Hate
Speech und der Aufruf zu Straftaten, damit müssen
sich hierzulande nur die Betreiber sozialer Medien
und die Polizei auseinandersetzen. Aber beide
erklären ihr Handeln nicht: Über die
Facebook-Löschkolonnen ist kaum etwas bekannt, auch
die Landeskriminalämter haben keine dezidierten
Ansprechpartner für die Arbeit mit dem Hass. Dabei
wäre Transparenz so wichtig: Was ist legal und was
illegal? Was wird warum gelöscht und was
strafrechtlich weiterverfolgt? Und nicht zuletzt:
Was macht das eigentlich mit jemandem, wenn er all
dem jeden Tag ausgesetzt ist? Es gibt dazu anonyme
Bekenntnisse von Menschen, die das eine Weile im
Auftrag von Facebook gemacht haben. Sie lesen sich
nicht gut. Viele Ansätze existieren für die Arbeit
mit dem Hass, vielleicht handelt es sich sogar um
einen Berufszweig mit Zukunft. Nur erfährt man
nichts darüber. Stephan Ruhmannseder aber hat seine
Tür geöffnet.
Einen Unterschied zum
engagierten Privatmann gibt es bei ihm. Stephan
Ruhmannseder stehen immerhin so viele Ressourcen zur
Verfügung, dass er für seine Arbeit bezahlt werden
kann. Insgesamt arbeiten sie in Sersheim bei
Stuttgart sogar zu viert, wobei er die einzige
Vollzeitstelle hat. Heute ist außer ihm niemand da.
Wer immer auf Facebook, Twitter oder sonst wo im
Internet einen Inhalt findet, den er für bedenklich
hält, kann sich damit an die Meldestelle wenden –
unter der etwas umständlichen Internetadresse
www.demokratiezentrum-bw.de/meldestelle-respect. Das
System hat für den Finder den Vorteil, dass er eine
Antwort und eine Einschätzung zu seinem Fund erhält
– und dass er eine eventuelle Anzeige nicht selbst
stellen muss. Was gleich viel wertvoller klingt,
wenn man bedenkt, dass ein Mensch, gegen den eine
Anzeige vorliegt, die Anschrift des Anzeigenden
einsehen darf.
Arbeitsgrundlage ist
das Strafgesetzbuch
Stephan
Ruhmannseder ist eigentlich Medienwissenschaftler,
aber sein wichtigstes Hilfsmittel ist ein zerlesenes
Strafgesetzbuch. „Mit etwas Übung kann man leicht
damit umgehen. Die Gesetzestexte sind im Bezug auf
viele Fälle relativ eindeutig“, sagt er. Meistens
muss er sich auf wenige Seiten beschränken;
diejenigen von Paragraf 86a etwa, Verwendung von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – und
Paragraf 130, Volksverhetzung. An diesen Stellen
sind ganze Absätze gelb markiert, die Seite von
Paragraf 130 hat sich ob der häufigen Lektüre sogar
vom Bucheinband gelöst.
Paragraf 86a ist derjenige, auf dessen Basis
Ruhmannseder eine Anzeige gegen jenen Menschen
formuliert hat, der das Foto mit den
Hakenkreuz-Pin-ups gebracht hatte – das Vergehen ist
relativ eindeutig, denn das Zeigen von Hakenkreuzen
in der Öffentlichkeit ist nun einmal verboten.
Schwieriger ist der Fall bei jenem Kommentator, der
bei Flüchtlingen „Müllverbrennungsanlagen
überfordert“ gesehen hatte: Es ist leicht, hier eine
Assoziation zu den Verbrennungsöfen der Nazis
herzustellen, aber solange die Drohung vage bleibt,
weder Opfer noch Tatzeitpunkt konkret benannt
werden, kann Ruhmannseder nichts tun. „Allerdings
werden hier auch Menschen mit Müll verglichen. Da
kann man sagen: ‚Okay, das ist Entmenschlichung.‘
Und das fällt dann wieder unter 130. Also haben wir
dann doch Anzeige gestellt.“ Nichts unternommen hat
die Meldestelle hingegen gegen das Posting, in
welchem Deutschland als „Allahs Paradies“ bezeichnet
wird – das sei vielleicht nicht lustig, aber durch
die Meinungsfreiheit gedeckt.
Und das ist oft so: Wenn
jemand weiß, was er sagen darf und was er sich
lieber verkneift, dann geht ziemlich viel als
Meinungsfreiheit durch. Und meistens liegt der
Unterschied schlicht in der Tonalität:
Strafrechtlich ist es zum Beispiel ein Unterschied,
ob jemand andere Menschen mit dem Tod bedroht oder
nur schreibt, dass man da mal was machen müsste.
Irgendwer. Irgendwie. Ist doch nur so dahingesagt.
„Besser wäre es noch, wenn man die Schlepperbanden
mit ihren NGO-Schiffen mit der gesamten besatzung
verseken tut im Mittelmeer“ ist so ein Satz, den man
– inklusive aller Rechtschreibfehler – folgenlos
unter einen Artikel zur Seenotrettung von
Geflüchteten schreiben kann. Es ist der Kommentar,
von dem Stephan Ruhmannseder sagt, dass er ihn in
seiner Zeit bei der Meldestelle vielleicht am
meisten getroffen hat: „Wenn man merkt, dass
Menschen so bar jeder Empathie sind, dann fragt man
sich schon: ‚Was läuft hier eigentlich schief?‘“ Er
hat es schnell begriffen: Wenn ihn etwas persönlich
betroffen macht, heißt das noch lange nicht, dass er
etwas dagegen unternehmen kann.
Rund 150 Mal haben sich
Stephan Ruhmannseder und seine Kollegen bislang für
eine Anzeige entschieden. Wie viele dieser Menschen
belangt worden sind, wissen sie nicht – sie haben
nur Anrecht darauf, von der Staatsanwaltschaft über
eine eventuelle Einstellung des Verfahrens
informiert zu werden. Was bislang selten vorkam.
Vier Menschen, nur eine volle Stelle – man darf hier
keine große Maschinerie erwarten; keine Bataillone
von Anwälten und keine optimierten Prozesse. Nur:
Eine solche Maschinerie gibt es nirgends. So kommt
es, dass die winzig kleine Meldestelle eben auch die
größte in Deutschland ist.
Man bekommt öffentliche
Gelder. Das Organigramm der Meldestelle sieht sehr
komplex aus und ein bisschen nach deutscher
Förderlandschaft. Im Wesentlichen läuft es darauf
hinaus, dass man den miteinander verwobenen
Organisationen der „Jugendstiftung
Baden-Württemberg“ sowie des „Demokratiezentrums
Baden-Württemberg“ unterstellt ist. Diese bekommen
wiederum Mittel vom Land sowie vom
Bundesfamilienministerium. Kann man eigentlich von
einer halbstaatlichen Organisation sprechen? Stephan
Ruhmannseder zuckt mit den Schultern.
Sie müssen niemandem
Bericht erstatten
Einen politischen
Beschluss zur Gründung der Meldestelle gab es nicht
– weder parlamentarisch noch ministerial noch
nachrangig. Darauf legen sie hier Wert: Sie haben
sich das selbst überlegt. Weil sie etwas machen
wollten. Sie müssen niemandem Bericht erstatten.
Stephan Ruhmannseder ist
bewusst, dass seine Arbeit dennoch von der
Allgemeinheit finanziert wird. Deswegen sucht er das
Gespräch und ist offen für Anfragen, was das denn
auf sich hat mit dieser Meldestelle „respect!“.
Manche Mails, die ihn erreichen, beginnen mit der
Anrede: „Hallo ihr Fotzen und Arschlöcher“.
Es hat Beleidigungen
gegeben. Nichts, was Stephan Ruhmannseder, der das
Strafgesetzbuch inzwischen so gut kennt, als
konkrete Drohung auffassen würde. Dennoch: Im nahen
Pforzheim gibt es eine aktive rechte Szene. Das ist
der Grund, weswegen es neben diesem Text kein Foto
von Stephan Ruhmannseder gibt. Man findet auch
keines im Internet; er kontrolliert das regelmäßig.
Andererseits legt er Wert darauf, mit seinem
richtigen Namen genannt zu werden und nicht
anonymisiert: „Das ist der Spagat zwischen
Transparenz und Sicherheit, den wir ständig
vollbringen müssen.“
Stephan Ruhmannseder ist
nicht jeden Tag in seinem Büro; er ist viel
unterwegs, hält Vorträge, besucht Schulen. Darüber
ist er ziemlich froh. Es ist eigentlich nicht so,
dass er ständig schockiert wäre von dem, was er
sieht – sondern eher davon, dass er es oft nicht
mehr ist. Hier ein Bild, in dem jemand „Refugees
Welcome“ an ein KZ-Eingangstor montiert hat, dort
ein Eintrag, in dem eine ganze Menschengruppe als
„diese Viecher“ bezeichnet wird – all das ist
normaler Teil seiner Arbeit. „Es macht etwas mit
einem, wenn man diesen Dingen ständig ausgesetzt
ist“, sagt er. Deswegen achten sie bei der
Meldestelle darauf, dass sie sich ständig
austauschen über das, was sie zu sehen kriegen.
„Außerdem gibt es auch Erfolgserlebnisse. Dann
nämlich, wenn ich merke, ich kann etwas
unternehmen.“
Rege
Zusammenarbeit mit dem LKA
Das ist manchmal gar nicht so einfach: Eine Anzeige
kann man zwar überall stellen – für die Ermittlungen
zuständig ist aber immer die Behörde des
Bundeslandes, in dem der Angezeigte lebt. Was aber,
wenn jemand droht, beleidigt, verleumdet und dabei
einfach seinen Wohnort nicht nennt? Dann ist man
mitunter darauf angewiesen, dass die Polizei hilft,
das herauszufinden – und das Anliegen dann an die
korrekte Dienststelle weiterleitet. Deshalb treffen
sich die Mitarbeiter der Meldestelle zweimal im Jahr
mit Beamten des Landeskriminalamtes
Baden-Württemberg. „Unsere Mitarbeiter befinden sich
mit den bei der Meldestelle ‚respect!‘ tätigen
Ansprechpartnern in regem und ständigem Austausch“,
nennt das der zuständige Inspektionsleiter Andreas
Taube. Das begrüße man.
Aber darf man das eigentlich? Einfach mal eine
Organisation gründen, die verdächtige
Internet-Einträge sammelt, weiterleitet – und sich
dafür regelmäßig mit der Polizei trifft? Und sich
diese Arbeit mit öffentlichen Geldern finanzieren
lässt? Die Antwort aus rechtlicher Perspektive ist
ziemlich simpel, sie lautet: Warum nicht? Aber bei
der Meldestelle finden sie außerdem: Man darf nicht
einfach nur, sondern man muss. „Es wäre einfach
wünschenswert, wenn wir nicht die einzige solche
Clearingstelle wären, sondern es viele davon gäbe.
Und das kann dann gerne von ganz anderen Leuten
ausgehen“, sagt Stephan Ruhmannseder.
Und tatsächlich: Wer soll das, was manche Menschen
ins Internet absondern, eigentlich wegräumen? Was
erwarten wir? Reicht es, sich auf die Polizei zu
verlassen? Oder darauf, dass Unternehmen wie
Facebook und Twitter das machen? Die Meldestelle
steht für einen ganz anderen Ansatz: Wir wollen,
dass das wegkommt; wir wollen, dass die Urheber
belangt werden – also kümmern wir uns darum und
organisieren uns selbst.
Die Arbeit ist ein bisschen weniger geworden in den
vergangenen Wochen – und das liegt am
Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Stephan Ruhmannseder
und seine Kollegen haben festgestellt, dass
fragliche Beiträge oft schneller verschwinden.
Flächendeckend sei das aber keineswegs der Fall.
Nicht Löschen ist das Ziel, sondern die
Strafverfolgung
Ohnehin ist das reine Löschen eines Beitrags nicht
das primäre Ziel der Meldestelle, sondern die
Strafverfolgung. Wenn etwas zu schnell gelöscht ist,
dann kann das sogar kontraproduktiv sein: „Bevor wir
etwas anzeigen, erstellen wir immer einen eigenen
Screenshot. Wenn das nicht mehr möglich ist, gibt es
auch keine Anzeige.“
Das ist eine Frage, die im Umgang mit Hate Speech
erstaunlich offen ist: Ist es eigentlich besser,
schnell etwas aus dem Netz zu entfernen – oder ist
es wichtiger, einen Urheber zur Rechenschaft zu
ziehen? Auch wenn dann etwas Verletzendes,
Gewaltverherrlichendes oder Menschenverachtendes
etwas länger online steht? Das eine kann das andere
ausschließen; und möglicherweise schafft das NetzDG
hier Fakten, ohne dass diese diskutiert worden
wären. Aber noch ist das für Stephan Ruhmannseder
kein Thema. Er sagt, er habe weitaus mehr zu tun,
als ihm lieb sei
Und es reicht ja bei
Weitem nicht immer. Manche Nutzer sozialer Medien
sind einfach zu geschickt in ihrem Hass. Wenige
Wochen ist es erst her, dass Stephan Ruhmannseder
dutzendfach einen Eintrag zugeschickt bekam, in dem
jemand Menschen zu einer schlichten Masse machte,
von „importierten, marodierenden, grapschenden,
prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs“ sprach.
Twitter hatte den Eintrag gelöscht, Facebook nicht.
Aber Stephan Ruhmannseder unternahm nichts,
abgesehen davon, dass er freundliche Absagen
schrieb. Viele Absagen. Die Chance, Alice Weidel
einen Gesetzesverstoß nachzuweisen, erschien ihm zu
gering.
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