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Aus der Armut in
die Armut
Marija Krstanovic ist
Deutschlands erste Migrationsberaterin,
die auf Südosteuropäer spezialisiert ist.
Sie kümmert sich um
Menschen, die vor der Armut in eine neue
Armut fliehen.
Berliner
Zeitung. 24.07.2013
An
manchen Tagen
kommt der Hunger zu Marija Krstanovic ins Büro.
Zuletzt in Gestalteiner
etwa 40 Jahre alten Frau mit dreckiger Kleidung und vier Kindern.
Sie war
schwarzgefahren und entschuldigte sich, dass sie einfach so
auftauche: Sie, ihr Mann und die Kinder seien noch
nicht lange in
Deutschland, hätten noch keine Arbeit und die Anträge auf Eltern- und
Kindergeld seien
nicht bewilligt, sagte sie – und ja, sie alle
hätten jetzt
seit zwei Tagen nichts mehr gegessen: „Bitte entschuldigen Sie.
Haben Sie eine
Kleinigkeit für uns?“Marija Krstanovic kennt das, für solche Fälle hat
sie immer ein paar
Lebensmittelmarken der Caritas. „Dass jemand kommt und sagt, er hätte
schon seit
Tagen nichts mehr gegessen – das habe ich mindestens ein Mal in
derWoche.“
Marija Krstanovic, 31 Jahre,
ist Migrationsberaterin, spezialisiert auf
Zuwanderer aus
Bulgarien und Rumänien. Sie sei der erste und bislang einzige
Mensch in
Deutschland in diesem Amt, sagt sie – und ist auch zuständig für Roma,
jene Volksgruppe
also, die gegenwärtig angeblich massenhaft in Deutschland einwandert.
Marija Krstanovic
sieht das anders. Sie sagt: „Ob Roma oder nicht, das merkt man gar
nicht.“
Ihr Büro
liegt in Jungbusch, einem Stadtteil mit Häusern aus der
Gründerzeit, bei
manchen glaubt man nicht, dass seither etwas an ihnen erneuert worden
ist. Um zu
Marija Krstanovic zu gelangen, passiertman einen Hausflur, in dem es
nach Hunde-Urin
stinkt, der graue Boden klebt. Im zweiten Stock des Hauses residiert
sie inmitten von
Sperrholzmöbeln und Büchern mit Titeln wie „Schule 2002“ oder
„Windows 95“. „Der
Raum hier wird auch für Fortbildungen genutzt“, sagt sie dazu.
Post
von der Kasse
Marija Krstanovic hat eine
tiefe Stimme und
lange dunkle Locken. Sie arbeitet im
Gemeinschaftszentrum Jungbusch, einer
gemeinsamen
Einrichtung verschiedener Sozialträger – darunter
Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Paritätischer
Wohlfahrtsverband.
Das klingt ein bisschen bürokratisch,und ein Großteil ihrer Arbeit ist
damit auch ganz gut umschrieben: Gleich drei
Briefe sind es, die eine kleine Frau in einem
abgewetzten
grauen Jackett gerade auf den Tisch legt, während sie ein fragendes
Gesicht zieht.
„AOK“ steht in grünen Buchstaben auf dem obersten, Marija Krstanovic
öffnet ihn und
redet dann Bulgarisch, nur ab und zu fällt das Wort „Jobcenter“. Hinterher
sagt sie: „Die
Frau hat seit einigen Monaten keine Beiträge zur Krankenversicherung
bezahlt. Deswegen
wollte die Kasse wissen, was los ist.“
Als
Marija Krstanovic im März 2012 mit ihrem Job begann, da konnte
sie kein Bulgarisch. Also lernte sie es – ganz
alleine, nach
Geld für einen Kurs wollte sie lieber erst gar nicht fragen. „Ich bin
bosnische Serbin. Serbokroatisch und Bulgarisch sind sich
ziemlich
ähnlich.“ Beim Rumänischen ist es schwieriger, da braucht sie
immer einen Dolmetscher – und den bekommt sie auch,
vielleicht
auch, weil sie ihn selten braucht.„Hier imViertel leben viel mehr
Bulgaren.“
Es ist
nicht so, dass die Frau im grauen Jackett, die sich Suezhanna nennt,
einfach nur ein
Problem mit der Krankenkasse hat – es ist eins von vielen: Seit einer
Erkrankung ist sie
arbeitslos, ihre Wohnung verlor sie ohne Job gleich mit. Nun ist sie bei
einem Bekanntenuntergekommen,
sagt sie – was dem Jobcenter genügte, ihr unter Verweis
auf eine „Bedarfsgemeinschaft“ die Unterstützung zu streichen. Den Bekannten
hat sie gleich mitgebracht, Marija Krstanovic erklärt
den beiden, dass
sie gegen den Entschluss des Jobcenters nur vorgehen kann, wenn sie
etwas
Schriftliches bekommt. Doch der Mann spricht kein Bulgarisch und
kaum Deutsch,
und vielleicht ist er auch nur ein skrupelloser Vermieter. „Viele der
Migranten leben in
ganz normalen Wohnverhältnissen“, sagt Marija Krstanovic, „es
kommt aber auch vor, dass fünf oder mehr sich
zwei Zimmer teilen.“ In Jungbusch kostet ein
Platz in einem
Bettenlager 120 Euro monatlich.
Als
Marija Krstanovic ein junges Mädchen war, da lebte sie an einem
Ort, an dem fast
immer schönes Wetter war. Mostar, das war eine Stadt in einem Land
namens Jugoslawien. Es gab dort Serben, Kroaten
und Bosniaken,
das wusste sie aber nur, weil einige Schüler an katholischen
oder orthodoxen
Feiertagen in der Schule fehlten und andere an muslimischen. Eines
Tages im Jahr 1992
ließ eine gewaltige Detonation die Schule erbeben. Ein Tanklaster, der
explodiert war.
Dann Gefechtslärm. Sie erinnert sich, dass ihr Bruder sie an der Hand
nimmt, sie laufen
ins Freie, schließlich kommt ihnen der Vater entgegen; in Socken auf der
Straße.
„Zuwanderung ins Sozialsystem ist nicht vorgesehen.“ So lautet ein
Satz des Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU),
und er
beschreibt ziemlich genau, was viele über die Migranten aus Bulgarien und
Rumänien
denken.„Wer nur hierherkommt,um Sozialhilfe zu kassieren, muss
zurückgeschickt
werden.“ Das ist ein anderer Friedrich’scher Satz. Die Realität, die
Marija Krstanovic erlebt, ist eine ganz andere: Viele
der Neuankömmlinge
haben überhaupt keinen Anspruch auf Leistungen – und die
meisten denken gar nicht daran, welche zu beantragen.
Wie auch, wenn man nicht mal weiß, dass es so etwas gibt? Gerade erst hatte
sie
wieder einen jungenKerl bei sich im Bür
sitzen, der
ihr von seinen 14-Stunden-Schichten auf dem Bau erzählt hat – und den 20 bis 30 Euro, die er am Tag erhält. „Es gibt
noch
keine Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Leute dürfen nur arbeiten, wenn sie ein
Gewerbe
haben. Das wissen viele aber vorher nicht. Also bleibt ihnen nur die
Schwarzarbeit“, sagt Krstanovic. Zuwanderung von
Fachkräften gibt es aus Rumänien und Bulgarien auch – aber wer hierherkommt, ist meist jung,
unqualifiziert und kann die Sprache nicht.
Nachdem
die Fenster im Schulgebäude zerborsten waren, verlie
ßMarija Krstanovics Familie noch am selben Tag
Mostar. Es begann eine Flucht von Dorf zu Dorf, von
einemVerwandten
zum nächsten. Ein Bild hat sich ihr aus dieser Zeit
eingeprägt, es ist das eines Flusses, der nach
einem starkem Regen reißend geworden war. An
die Busfahrt nach
Deutschland hat sie kaum noch Erinnerungen. Es setzt erst wieder ein,
als sie schließlich im grauen Mannheim ankam.
Wie
vieleMenschen es sind, die heute aus Bulgarien und Rumänien nach
Deutschland
kommen, weiß niemand so genau. Die Bundesagentur für Arbeit hat im Jahr 2011
rund 112.000
Menschen gezählt, der deutsche Städtetagimselben
Zeitraumsogar 147.000 – wobei Kritiker dieser Zahl
einwenden, dass
zwei Drittel dieser Menschen auch im selben Jahr wieder gegangen sein
könnten. Marija
Krstanovic berät in ihrer Sprechstunde derzeit etwa 200 Menschen, ihre
Familien nicht
mitgerechnet. Und sie unternimmt Spaziergänge durch dasViertel, geht mit
einem Fußball
zum Spielplatz oder schüttelt einfach mal Hände– um die Menschen
zu erreichen.
„Wir
fragen nicht nach ethnischer Zugehörigkeit, weil das für unser
Hilfsangebot
nicht relevant ist“, sagt sie. Roma, dahinter verbirgt sich für Marija
Krstanovic weniger
eine Volksgruppe als eine Zuschreibung, die in der subjektiven
Wahrnehmung entsteht.„Viele Leute sehen bei uns im
Viertel einen
Menschen mit etwas dunklerer Hautfarbe und denken: ‚Aha, ein
Zigeuner.‘ Dabei
haben zum Beispiel viele bulgarische Muslime eine recht dunkle Haut.“
Joachim Krauss kann das
bestätigen. „Es
ist überhaupt nicht ersichtlich, warum es eine Roma-Migration geben
soll“, sagt der
Historiker vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. So handele es
sich bei vielen
aktuellen Migranten um Menschenaus Bulgarien und Rumänien,
dass diese
durchweg als „Roma“ gälten, sei eine einseitige Zuschreibung.
Die
Krstanovics bekamen damals schon bald Post von der
Ausländerbehörde. Die Familie sollte das Land verlassen,
hieß es darin,
Grund seien die ungültigen Pässe: Mostar, das sei keine Stadt in
Jugoslawien, sondern eine in
Bosnien-Herzegowina. Für die
Aufenthaltsgenehmigung brauche man also einen bosnischen Pass. Irgendwann
beantragte die
Behörde diese Pässe eigenmächtig. Jetzt waren Krstanovics
also Bosnier. Eine
Aufenthaltsgenehmigung gab es trotzdem nicht: Jahrelang lebte die
Familie mit einer
Duldung, mal gültig für einen Monat, mal für drei. Erst eine schwere
Krankheit der Mutter verhinderte ihre
Abschiebung und die ihrer Angehörigen.
15
Jahre Ungewissheit
AlsMarija
Krstanovic 18 wurde, bekam sie ihren ersten eigenen
Abschiebebescheid. Dass sie am Ende doch bleiben
durfte, liegt daran,
dass sich
Menschen in ihrem Umfeld für sie stark gemacht haben:
Schulkameraden organisierten Sitzstreiks beim
Bürgermeister
oder wandten sich an die Presse. „Es sind ja immer
Ermessensentscheidungen. Wenn man aufzeigt: Da sollen
Menschen abgeschoben werden, die sich gut
integriert
haben, dann wirkt das auch“, sagt sie heute.
Doch
eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekam sie erst 2005. Sie
war damals schon einige Zeit an der Universität, fast 15 Jahre hatte sie bis
dahin mit dem Wissen gelebt, dass man sie von
einem Monat zum
nächsten einfach außer Landes bringen könnte. Plötzlich durfte
sie bleiben, für immer. Freuen konnte sie sich
deswegen nicht.
„Ich habe nur gelernt: Wenn man etwas im Leben haben will, dann muss
man dafür
kämpfen.“
Kämpfe
ausfechten, das ist auch die tägliche Arbeit der Menschen in
ihrer Beratung.
Wie man ihnen dabei hilft, das hat Marija Krstanovic als
Sozialarbeiterin im Studium vermittelt bekommen – aber
gelernt hat sie
es eigentlich am eigenen Beispiel. Sie, die damals nicht willkommen war, heißt
diejenigen
willkommen, die es heute nicht sind. Die Habenichtse, die vom
Paradies geträumt
haben, die vor der Armut in die Armut geflohen sind. Und es werden mehr
kommen, da ist
sie sich sicher. „Gerade weil viele Leute so jung sind, würde es richtig
etwas bringen, in
sie zu investieren, man würde nachher sehr viel rausbekommen.
Andernfalls schaff tman sich nur eine unglaublich
breite Bevölkerungsschicht ohne Zukunft“, sagt sie.
Sie kann
diejenigen verstehen, die zu ihr kommen. Aber sie hat
gelernt, Abstand zu halten. Die Probleme der
Anderen sind nicht
ihre Probleme, meistens jedenfalls. Manchmal aber tauchen auch Menschen
in ihrer Beratung
auf, die eigentlich gar nicht hierher gehören: Keine
Arbeitsmigranten, sondern Asylbewerber etwa oder
Illegale – wie etwa die Frau, die sich vor
einigen Wochen in ihr Büro verirrte. Sie brauchte
eine medizinische
Behandlung und wusste nicht, an wen sie sich wenden konnte; ein
Problem, das Marija Krstanovic so nie gehabt
hatte. Und doch
schnürte es ihr die Kehle zu. Sie fühlte sich wie damals, als sie von
Mostar nach Mannheim gekommen war: Niemand da,
der hilft,
niemand da, der sagt, wer hilft. Dann schüttelte sie die Erinnerungen ab und
gab der Frau eine Adresse.
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