Sebastian_Stoll


 

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Aus der Armut in die Armut

Marija Krstanovic ist Deutschlands erste Migrationsberaterin,
die auf Südosteuropäer spezialisiert ist. Sie kümmert sich um
Menschen, die vor der Armut in eine neue Armut fliehen
.


Berliner Zeitung. 24.07.2013


An manchen Tagen kommt der Hunger zu Marija Krstanovic ins Büro. Zuletzt in Gestalteiner etwa 40 Jahre alten Frau mit dreckiger Kleidung und vier Kindern. Sie war schwarzgefahren und entschuldigte sich, dass sie einfach so auftauche: Sie, ihr Mann und die Kinder seien noch nicht lange in Deutschland, hätten noch keine Arbeit und die Anträge auf Eltern- und Kindergeld seien nicht bewilligt, sagte sie – und ja, sie alle hätten jetzt seit zwei Tagen nichts mehr gegessen: „Bitte entschuldigen Sie. Haben Sie eine Kleinigkeit für uns?“Marija Krstanovic kennt das, für solche Fälle hat sie immer ein paar Lebensmittelmarken der Caritas. „Dass jemand kommt und sagt, er hätte schon seit Tagen nichts mehr gegessen – das habe ich mindestens ein Mal in derWoche.“
Marija Krstanovic, 31 Jahre, ist Migrationsberaterin, spezialisiert auf Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. Sie sei der erste und bislang einzige Mensch in Deutschland in diesem Amt, sagt sie – und ist auch zuständig für Roma, jene Volksgruppe also, die gegenwärtig angeblich massenhaft in Deutschland einwandert. Marija Krstanovic sieht das anders. Sie sagt: „Ob Roma oder nicht, das merkt man gar nicht.“

Ihr Büro liegt in Jungbusch, einem Stadtteil mit Häusern aus der Gründerzeit, bei manchen glaubt man nicht, dass seither etwas an ihnen erneuert worden ist. Um zu Marija Krstanovic zu gelangen, passiertman einen Hausflur, in dem es nach Hunde-Urin stinkt, der graue Boden klebt. Im zweiten Stock des Hauses residiert sie inmitten von Sperrholzmöbeln und Büchern mit Titeln wie „Schule 2002“ oder „Windows 95“. „Der Raum hier wird auch für Fortbildungen genutzt“, sagt sie dazu.

Post von der Kasse

Marija Krstanovic hat eine tiefe Stimme und lange dunkle Locken. Sie arbeitet im Gemeinschaftszentrum Jungbusch, einer gemeinsamen Einrichtung verschiedener Sozialträger – darunter Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Paritätischer Wohlfahrtsverband. Das klingt ein bisschen bürokratisch,und ein Großteil ihrer Arbeit ist damit auch ganz gut umschrieben: Gleich drei Briefe sind es, die eine kleine Frau in einem abgewetzten grauen Jackett gerade auf den Tisch legt, während sie ein fragendes Gesicht zieht. „AOK“ steht in grünen Buchstaben auf dem obersten, Marija Krstanovic öffnet ihn und redet dann Bulgarisch, nur ab und zu fällt das Wort „Jobcenter“. Hinterher sagt sie: „Die Frau hat seit einigen Monaten keine Beiträge zur Krankenversicherung bezahlt. Deswegen wollte die Kasse wissen, was los ist.“

Als Marija Krstanovic im März 2012 mit ihrem Job begann, da konnte sie kein Bulgarisch. Also lernte sie es – ganz alleine, nach Geld für einen Kurs wollte sie lieber erst gar nicht fragen. „Ich bin bosnische Serbin. Serbokroatisch und Bulgarisch sind sich ziemlich ähnlich.“ Beim Rumänischen ist es schwieriger, da braucht sie immer einen Dolmetscherund den bekommt sie auch, vielleicht auch, weil sie ihn selten braucht.„Hier imViertel leben viel mehr Bulgaren.“

Es ist nicht so, dass die Frau im grauen Jackett, die sich Suezhanna nennt, einfach nur ein Problem mit der Krankenkasse hat – es ist eins von vielen: Seit einer Erkrankung ist sie arbeitslos, ihre Wohnung verlor sie ohne Job gleich mit. Nun ist sie bei einem Bekanntenuntergekommen, sagt sie – was dem Jobcenter genügte, ihr unter Verweis auf eine „Bedarfsgemeinschaft“ die Unterstützung zu streichen. Den Bekannten hat sie gleich mitgebracht, Marija Krstanovic erklärt den beiden, dass sie gegen den Entschluss des Jobcenters nur vorgehen kann, wenn sie etwas Schriftliches bekommt. Doch der Mann spricht kein Bulgarisch und kaum Deutsch, und vielleicht ist er auch nur ein skrupelloser Vermieter. „Viele der Migranten leben in ganz normalen Wohnverhältnissen“, sagt Marija Krstanovic, „es kommt aber auch vor, dass fünf oder mehr sich zwei Zimmer teilen.“ In Jungbusch kostet ein Platz in einem Bettenlager 120 Euro monatlich.

Als Marija Krstanovic ein junges Mädchen war, da lebte sie an einem Ort, an dem fast immer schönes Wetter war. Mostar, das war eine Stadt in einem Land namens Jugoslawien. Es gab dort Serben, Kroaten und Bosniaken, das wusste sie aber nur, weil einige Schüler an katholischen oder orthodoxen Feiertagen in der Schule fehlten und andere an muslimischen. Eines Tages im Jahr 1992 ließ eine gewaltige Detonation die Schule erbeben. Ein Tanklaster, der explodiert war. Dann Gefechtslärm. Sie erinnert sich, dass ihr Bruder sie an der Hand nimmt, sie laufen ins Freie, schließlich kommt ihnen der Vater entgegen; in Socken auf der Straße.

„Zuwanderung ins Sozialsystem ist nicht vorgesehen.“ So lautet ein Satz des Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU), und er beschreibt ziemlich genau, was viele über die Migranten aus Bulgarien und Rumänien denken.„Wer nur hierherkommt,um Sozialhilfe zu kassieren, muss zurückgeschickt werden.“ Das ist ein anderer Friedrich’scher Satz. Die Realität, die Marija Krstanovic erlebt, ist eine ganz andere: Viele der Neuankömmlinge haben überhaupt keinen Anspruch auf Leistungen – und die meisten denken gar nicht daran, welche zu beantragen. Wie auch, wenn man nicht mal weiß, dass es so etwas gibt? Gerade erst hatte sie wieder einen jungenKerl bei sich im Bür sitzen, der ihr von seinen 14-Stunden-Schichten auf dem Bau erzählt hat – und den 20 bis 30 Euro, die er am Tag erhält. „Es gibt noch keine Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Leute dürfen nur arbeiten, wenn sie ein Gewerbe haben. Das wissen viele aber vorher nicht. Also bleibt ihnen nur die Schwarzarbeit“, sagt Krstanovic. Zuwanderung von Fachkräften gibt es aus Rumänien und Bulgarien auch – aber wer hierherkommt, ist meist jung, unqualifiziert und kann die Sprache nicht.

Nachdem die Fenster im Schulgebäude zerborsten waren, verlie ßMarija Krstanovics Familie noch am selben Tag Mostar. Es begann eine Flucht von Dorf zu Dorf, von einemVerwandten zum nächsten. Ein Bild hat sich ihr aus dieser Zeit eingeprägt, es ist das eines Flusses, der nach einem starkem Regen reißend geworden war. An die Busfahrt nach Deutschland hat sie kaum noch Erinnerungen. Es setzt erst wieder ein, als sie schließlich im grauen Mannheim ankam.

Wie vieleMenschen es sind, die heute aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland kommen, weiß niemand so genau. Die Bundesagentur für Arbeit hat im Jahr 2011 rund 112.000 Menschen gezählt, der deutsche Städtetagimselben Zeitraumsogar 147.000 – wobei Kritiker dieser Zahl einwenden, dass zwei Drittel dieser Menschen auch im selben Jahr wieder gegangen sein könnten. Marija Krstanovic berät in ihrer Sprechstunde derzeit etwa 200 Menschen, ihre Familien nicht mitgerechnet. Und sie unternimmt Spaziergänge durch dasViertel, geht mit einem Fußball zum Spielplatz oder schüttelt einfach mal Hände– um die Menschen zu erreichen.

„Wir fragen nicht nach ethnischer Zugehörigkeit, weil das für unser Hilfsangebot nicht relevant ist“, sagt sie. Roma, dahinter verbirgt sich für Marija Krstanovic weniger eine Volksgruppe als eine Zuschreibung, die in der subjektiven Wahrnehmung entsteht.„Viele Leute sehen bei uns im Viertel einen Menschen mit etwas dunklerer Hautfarbe und denken: ‚Aha, ein Zigeuner.‘ Dabei haben zum Beispiel viele bulgarische Muslime eine recht dunkle Haut.“

Joachim Krauss kann das bestätigen. „Es ist überhaupt nicht ersichtlich, warum es eine Roma-Migration geben soll“, sagt der Historiker vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. So handele es sich bei vielen aktuellen Migranten um Menschenaus Bulgarien und Rumänien, dass diese durchweg als „Roma“ gälten, sei eine einseitige Zuschreibung.

Die Krstanovics bekamen damals schon bald Post von der Ausländerbehörde. Die Familie sollte das Land verlassen, hieß es darin, Grund seien die ungültigen Pässe: Mostar, das sei keine Stadt in Jugoslawien, sondern eine in Bosnien-Herzegowina. Für die Aufenthaltsgenehmigung brauche man also einen bosnischen Pass. Irgendwann beantragte die Behörde diese Pässe eigenmächtig. Jetzt waren Krstanovics also Bosnier. Eine Aufenthaltsgenehmigung gab es trotzdem nicht: Jahrelang lebte die Familie mit einer Duldung, mal gültig für einen Monat, mal für drei. Erst eine schwere Krankheit der Mutter verhinderte ihre Abschiebung und die ihrer Angehörigen.

15 Jahre Ungewissheit

AlsMarija Krstanovic 18 wurde, bekam sie ihren ersten eigenen Abschiebebescheid. Dass sie am Ende doch bleiben durfte, liegt daran,
dass sich Menschen in ihrem Umfeld für sie stark gemacht haben: Schulkameraden organisierten Sitzstreiks beim Bürgermeister oder wandten sich an die Presse. „Es sind ja immer Ermessensentscheidungen. Wenn man aufzeigt: Da sollen Menschen abgeschoben werden, die sich gut integriert haben, dann wirkt das auch“, sagt sie heute.

Doch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekam sie erst 2005. Sie war damals schon einige Zeit an der Universität, fast 15 Jahre hatte sie bis dahin mit dem Wissen gelebt, dass man sie von einem Monat zum nächsten einfach außer Landes bringen könnte. Plötzlich durfte sie bleiben, für immer. Freuen konnte sie sich deswegen nicht. „Ich habe nur gelernt: Wenn man etwas im Leben haben will, dann muss man dafür kämpfen.“

Kämpfe ausfechten, das ist auch die tägliche Arbeit der Menschen in ihrer Beratung. Wie man ihnen dabei hilft, das hat Marija Krstanovic als Sozialarbeiterin im Studium vermittelt bekommen – aber gelernt hat sie es eigentlich am eigenen Beispiel. Sie, die damals nicht willkommen war, heißt diejenigen willkommen, die es heute nicht sind. Die Habenichtse, die vom Paradies geträumt haben, die vor der Armut in die Armut geflohen sind. Und es werden mehr kommen, da ist sie sich sicher. „Gerade weil viele Leute so jung sind, würde es richtig etwas bringen, in sie zu investieren, man würde nachher sehr viel rausbekommen. Andernfalls schaff tman sich nur eine unglaublich breite Bevölkerungsschicht ohne Zukunft“, sagt sie.

Sie kann diejenigen verstehen, die zu ihr kommen. Aber sie hat gelernt, Abstand zu halten. Die Probleme der Anderen sind nicht ihre Probleme, meistens jedenfalls. Manchmal aber tauchen auch Menschen in ihrer Beratung auf, die eigentlich gar nicht hierher gehören: Keine Arbeitsmigranten, sondern Asylbewerber etwa oder Illegale – wie etwa die Frau, die sich vor einigen Wochen in ihr Büro verirrte. Sie brauchte eine medizinische Behandlung und wusste nicht, an wen sie sich wenden konnte; ein Problem, das Marija Krstanovic so nie gehabt hatte. Und doch schnürte es ihr die Kehle zu. Sie fühlte sich wie damals, als sie von Mostar nach Mannheim gekommen war: Niemand da, der hilft, niemand da, der sagt, wer hilft. Dann schüttelte sie die Erinnerungen ab und gab der Frau eine Adresse.
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