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An der Pixel-Front

Wie fliegt man einen Kampfjet? Wie befreit man Geiseln aus der
Hand von Terroristen? Militär und Computerspielehersteller
bringen
sich das Vorgehen gegenseitig bei.


Der Freitag, 05.03.2009


Wer Gutes tun will, muss vorher leiden: „Move Soldier!“ sind die ersten Worte, die ein Soldat nach seinem Eintritt in die US-Armee zu hören bekommt. Der gereizte Ton der Ausbilder wird ihn von nun an verfolgen. Wer zu langsam den Hindernisparcours durchquert, bekommt sofort einen Anpfiff. Gefährlich ist der Kletterturm: Fällt man herunter, stirbt man – und muss von vorn beginnen.

Langsam arbeitet der Rekrut sich so Schritt für Schritt zu den Schießprüfungen vor, die nur besteht, wer Ziele von der Größe einer Stecknadel trifft. Nach der harten Ausbildung wird das Soldatenleben aber leichter. Die Terroristen, die es zu bekämpfen gilt, bluten nicht. Sie setzen sich einfach hin, wenn sie getroffen werden.

America’s Army heißt das Computerspiel, in dem nach Angaben der Entwickler knapp zehn Millionen Menschen eine militärische Karriere nachspielen, die aus Drill, Heldengeschichten und klinisch sauberen Gefechten besteht. Das Spiel ist entstanden im Auftrag der US-Armee, die es freimütig als „Rekrutierungsmaßnahme“ bezeichnet, kostenlose Downloads anbietet und vor kurzem erst eine Version für Spielhallen vorgestellt hat. America’s Army steht dabei in einer langen Tradition: Schon häufig haben Militär und Waffenproduzenten mit den Herstellern von Computerspielen kooperiert. Genutzt hat das stets beiden Seiten, nicht selten hat man sogar voneinander gelernt.

F-22 etwa ist nicht nur die Bezeichnung eines Kampfjets, den die US-Armee 1997 der Öffentlichkeit vorstellte, sondern zugleich der Name von fünf Computerspielen, die im selben Jahr erschienen. Es ging darum, mit einer F-22 zu einem festgelegten Punkt zu fliegen, dort ein Ziel zu zerstören und anschließend umzukehren. Was gar nicht einfach war: Die Spiele hatten Bedienungsanleitungen von der Dicke eines Telefonbuchs. Sie warben damit, in enger Kooperation mit dem F-22-Hersteller Lockheed Martin entstanden zu sein.

„Natürlich ging es darum, der US-Öffentlichkeit das Flugzeug zu präsentieren. Schließlich musste der Kongress im selben Jahr darüber entscheiden, wie viele F-22 angeschafft werden sollten“, sagt Hartmut Gieselmann. Er ist Soziologe und Autor des Buchs Der virtuelle Krieg, in dem er den Zusammenhang von Krieg und Computerspielen untersucht. Für ihn sind Simula­tionsspiele wie F-22 vor allem ein Phänomen der 90er Jahre: technokratisch, sauber, emotionslos – wie die Kriege, welche die USA seinerzeit führen wollten.

„Die Spieler werden hier zu kühl berechnenden Ingenieuren. Nicht der schießende Rambo ist gefragt, sondern der Weltpolizist, der sich für eine gute Sache einsetzt“, sagt Gieselmann. Die Militärsimulationen der 90er warben mit besonderer Detailgenauigkeit. Genau das war aber auch ihr Problem. Für Menschen, die nicht technikbegeistert sind, bedeutet ein stundenlanger Luftschlag vor allem eines: Langeweile.

Nicht zuletzt deshalb wurden die aufwändigen Simulationen verdrängt durch Spiele, die den Krieg einfach machen. Hinzu kam ein Wandel in der Weltpolitik: Kämpfe werden in Zeiten des Krieges gegen den Terror nicht mehr von Lockheed Martin gewonnen, sie laufen Mann gegen Mann – auch online. Schnelle Internetverbindungen machen es möglich, in den virtuellen Kriegswelten gegen echte Menschen anzutreten, die gegnerische Spielfiguren lenken. Bei Counter-Strike gibt es etwa Missionen, bei denen Spieler als Terroristen Geiseln nehmen, andere Spieler müsse diese dann befreien.

Simple Szenarien sind heute besonders beliebt. Die Freiheit muss verteidigt werden – für High-Tech-Waffen und ausgefeilte Strate­gien ist da kein Platz: Die virtuellen Gewehre in Counter-Strike wurden nicht mit dem Know-how der Waffenhersteller entwickelt, die Spieleprogrammierer übten einfach am nächstgelegenen Schießstand.

Diese Entwicklung hat aber eine andere Form von Kooperation vorangetrieben – eine, bei der das Militär von den Spieleherstellern lernt: Die beliebtesten Spiele heißen Ego-Shooter, der Teilnehmer erlebt die Umgebung aus der Ich-Perspektive. Damit solche Spiele überhaupt funktionieren, benötigen sie ein Programm, das sich 3D-Engine nennt und die virtuelle Realität belebt: Durch die Engine werden aus Pixeln Gegenstände oder Personen, die sich von dem Spieler wegbewegen, auf ihn zukommen – oder ihn angreifen.

Erst durch die Engine werden realistische 3D-Bewegungen überhaupt möglich. America’s Army entstand beispielsweise dadurch, dass die US-Armee eine Engine dem Spielehersteller Epic Games abkaufte. Hat man ein solches Programm erstmal, dann eignet es sich aber natürlich auch für andere Zwecke. „Es kommt häufig vor, dass das Militär Engines von zivilen Computerspielen weiterentwickelt und mit realen Daten füttert“, sagt Hartmut Gieselmann. „Das nennt man ‚Dual Use‘.“

Der Begriff „Dual Use“ ist nicht auf Com­pu­terprogramme beschränkt. Er bezeichnet jede Technik, die sowohl zu zivilen wie militärischen Zwecken genutzt werden kann. Ein Dual-Use-Produkt darf nicht in Länder ausgeliefert werden, die Exportbeschränkungen unterliegen. Es kann sich dabei um Kunstdünger handeln, mit dem sich auch Sprengstoff herstellen lässt, es kann ein Zen­­­trifugensystem sein, das sich in der Me­di­zin und zur Urananreicherung verwenden lässt – oder eben eine 3D-Engine.

In den USA sind militärische Trainingssimulationen, die auf der Basis von Computerspielen entwickelt wurden, längst üblich. Vergangenes Jahr gab die Armee bekannt, in den nächsten fünf Jahren 65 Millionen Dollar in die Entwicklung weiterer Programme investieren zu wollen. Und anderswo zieht man mit: Eine Sprecherin des Münchner Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann etwa bestätigt auf Anfrage, dass man „in einem gewissen Rahmen“ ebenfalls mit Computerspieleherstellern kooperiert: Vor fünf Jahren habe man eine 3D-Engine gekauft. Den Hersteller der Engine hält man allerdings geheim.

In einer speziellen Abteilung mit dem mysteriösen Namen GT 42 habe man das Programm für die eigenen Zwecke weiterentwickelt, so die Sprecherin. Krauss-Maffei Wegmann baut nicht nur die Leopard-Panzer, sondern verkauft auch digitale Trainingssimulationen – etwa für „realitätsnahe Schieß- und Gefechtsausbildung“, wie es auf der Unternehmens-Webseite heißt.

Zu den Kunden des Konzerns gehört auch die Bundeswehr. „Unsere Trainingsprogramme werden über die wehrtechnische Industrie eingekauft oder in Projekten im engen Schulterschluss mit dieser entwickelt“, sagt Ludger Terbrüggen. Seine Dienstbezeichnung bei der Bundeswehr lautet „Dezernatsleiter Streitkräfteunterstützungskommando“. Die von der Bundeswehr mitentwickelten Simulationen enthielten sicher keine Programmteile aus zivilen Computerspielen. Bei Programmen, die komplett im Hause eines Unternehmens gefertigt werden, könne man dies aber nicht ausschließen.

Rekrutierungsspiele wie America’s Army gibt es bei der Bundeswehr nicht. Und sie seien auch nicht geplant, betont Terbrüggen. Spiele-Experte Gieselmann bestätigt dies: „Das liegt auch an der unterschiedlichen Kultur. Amerikaner haben einen recht ungezwungenen Umgang mit Waffen. In Deutschland gab es vor einigen Jahren schon eine große Diskussion über ein Spiel, bei dem man mit einer Drohne zu Aufklärungsflügen gestartet ist.“ Luna Mission – so der Name des Drohnenspiels – ist inzwischen kommentarlos aus dem Internet-Angebot der Bundeswehr verschwunden.

Waren es in den 90er Jahren noch die Spielehersteller, die die Kenntnisse der Militärs nutzten, um ihre Spiele zu bewerben, funktioniert der Wissenstransfer mittlerweile andersherum – nun werden nicht die Computerspiele dem Krieg immer ähnlicher, sondern die militärische Ausbildung den Spielen. Virtuelle Trainingseinheiten ersetzen für Soldaten oft schon Manöverübungen. Wie in America’s Army fließt in den digitalen Übungen des Militärs aber kein Blut. Experten warnen vor den Folgen dieser Realitätsbeugung. Nicht gewalttätige Killerspiele verleiteten zum schnellen Töten, sondern Simulationen, in denen aus Menschen Pixel werden, die man einfach so abschießen kann.

America’s Army findet die amerikanische Regierung offenbar selbst nicht so harmlos, wie man gern vorgibt. Die Army will das Wissen, das in dem Spiel steckt, zumindest nicht mit jedem teilen: In Syrien, Nordkorea und dem Iran ist der Download von America’s Army gesperrt. Das Spiel fällt dort unter die geltenden US-Exportbeschränkungen.

           
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